„Die Logistik für E-Food ist äußerst anspruchsvoll“

Ein Interview mit Norbert Paul und Nils Machemehl über derzeitige Trends in der Lebensmittellogistik.

Welche wesentlichen Trends sehen Sie derzeit in der Lebensmittellogistik?

Machemehl: Als Spezialgebiet der Logistik ist die Lebensmittellogistik von verschiedenen Trends geprägt, die sich aus ihrer Besonderheit einerseits und den Veränderungen in ihrem Umfeld andererseits ergeben. Die größte Veränderung seit dem Beginn der Coronapandemie ist sicherlich der nach wie vor stark wachsende Onlinehandel mit Lebensmitteln – seien es Lieferungen aus dem Supermarkt oder von Lieferdiensten und Kochboxenanbietern. Es ist wie eine Kettenreaktion: Mehr Home-Office hat zu einem größeren Wunsch nach Zeitersparnis und Bequemlichkeit geführt – und ich glaube nicht, dass diese für viele Verbraucher positiven Erfahrungen sich wieder zurückentwickeln werden.

Dies findet statt vor dem Hintergrund der Veränderung des gesamten Ökosystems der Lebensmittellogistik: hier gibt es den Trend hin zum Outsourcing der kompletten Logistikdienstleistungen durch entsprechende Dienstleister.  Zugleich werden die Läger derzeit immer kleiner – die Supermärkte vergrößern ihre Ladenfläche und reduzieren ihre Läger. Dies ist aber kein leichtes Unterfangen, denn die Anbieter müssen ja auch noch die permanent zunehmende Sortimentsbreite bedienen können. Das ist ein Spagat!

Welche Auswirkungen haben die wesentlichen Trends des Branchensegments auf die Finanzierungsanfragen und was hat sich geändert?

Paul: Der derzeitige durch die Klimaneutralitätsziele ausgelöste neue Fokus führt zu einer stärkeren Finanzierungsnachfrage nach langfristigen Investitionskrediten, etwa im Bereich der Logistik-Immobilien. Außerdem werden die weitere geographische Verzahnung und der Ausbau von Logistiknetzen weitere Konsolidierungen – insbesondere auf europäischer Ebene – sowie eine Zunahme an Akquisitionsfinanzierungen bedeuten. Insofern geht die Finanzierungsnachfrage jetzt verstärkt in Richtung langfristiger Investitionskredite und Projekte, während zuletzt der Fokus auf Working Capital Optimierung und Sicherung lag. Als Bank können wir mit unserer Expertise und der wirtschaftlichen Bewertung der Projekte unseren Kunden optimale Finanzierungsstrukturen und finanzielle Lösungsvorschläge aus einer Hand aufzeigen, anbieten und umsetzen.     

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Lebensmittellogistik insgesamt?

Machemehl: Das veränderte Konsumverhalten dürfte die wohl größte Auswirkung sein: Heute macht man Großeinkäufe anstatt mehrerer Einkäufe pro Woche, um Kontakte zu vermeiden. Ob dies ein nachhaltiger Trend bleibt, werden wir sehen.

Der Rückzug des Arbeitslebens ins Private durch verstärktes Home-Office hat dazu geführt, dass heute mehr zu Hause gekocht und gegessen wird – die Zahl der Restaurantbesuche in der Mittagspause sinkt, wie auch die Betriebskantinen weniger in Anspruch genommen werden. Dieser Trend dürfte langfristig sein, denn wir gehen davon aus, dass dem Hybriden Arbeiten die Zukunft gehört.

Auch der Logistiksektor selbst spürt die Auswirkungen der Pandemie: So ist die Zahl der Kraftfahrer durch die schlechte Auftragslage stark gesunken, viele haben sich inzwischen andere Jobs gesucht und stehen dem Markt gar nicht mehr zur Verfügung.

Wie verändert sich das Lebensmittelsegment insgesamt durch Lieferangebote von Supermärkten und Paketzustellung von Gerichten?

Paul: Der Lebensmittelhandel konnte innerhalb des E-Commerce die höchsten Wachstumsraten insgesamt erzielen: Es gab ein deutliches Wachstum beim Onlinehandel mit Lebensmitteln während der Pandemie – und: mit einem Marktanteil von bislang 2% am gesamten Handel steht der Onlinehandel mit Lebensmitteln in Deutschland noch ganz am Anfang.

Doch die steigende Nachfrage führt auch zu Herausforderungen, denn die Logistik für E-Food ist äußerst anspruchsvoll. Die Auslieferung auf der „letzten Meile“ muss schnell erfolgen, es bedarf der Einrichtung regionaler Läger, die Waren müssen hochverfügbar sein und bei der temperaturgeführten Logistik darf es nur minimale Schwankungen geben. Insbesondere in dem zuletzt genannten Bereich sieht man heute schon Anbieter, die die Dienstleistung auf der letzten Meile übernehmen. Zusehends interessieren sich auch Lebensmittellogistiker für dieses Segment, um die Lieferkette vom Erzeuger bis zum Konsumenten aus einer Hand anzubieten.

Welche Auswirkungen haben die Energiewende und Wechsel hin zu alternativen Antrieben auf die Lebensmittellogistik?

Machemehl: Langfristig wird der umfassende Einsatz von alternativen Antrieben im Schwerlastverkehr kommen, was eine steigende Bedeutung brennstoffzellenelektrischer LKW mit sich bringen wird. Dagegen sind batterieelektrisch betriebene Nutzfahrzeuge aufgrund der Nutzlast und Reichweite auf Strecken bis zu 300 bis 500 km limitiert – das ist zu wenig.

Digitalisierung und Automatisierung werden helfen, Themen wie CO2-neutrale Transportketten, kurze Wege, Vermeiden von Leerfahrten und umweltfreundlichen Transportmittel voranzutreiben und Herausforderungen des Klimawandels anzugehen.

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