Freie Fahrt für Elektroautos

Die Investitionen in die E-Mobilität steigen weiter – selbst in diesem Krisenjahr ist mit einer Wachstumsrate von rund 10 bis 20% zu rechnen. Das wichtigste Thema neben dem Fahrzeug selbst, ist derzeit der Aufbau einer leistungsstarken Ladeinfrastruktur, der angesichts der Energiekrise mit zusätzlichen Problemen versehen ist. Im Gespräch mit Frank Schwope, NORD/LB Research, erfahren Sie, mit welchen Herausforderungen und Marktentwicklungen im Bereich E-Mobilität in den nächsten Jahren zu rechnen ist.

Wie entwickelt sich der Markt für E-Autos im Zeitraum der kommenden fünf Jahre?

In Deutschland wurden 2021 355.961 Elektro-Pkw neu zugelassen, was einem Marktanteil von 13,6% entspricht und einen Zuwachs gegenüber dem Jahr 2020 von 83,3% darstellt; und hierbei sprechen wir nur von batterie-elektrischen Fahrzeugen (BEVs). Auch aus Kapazitätsgründen und in Folge der „Mangelwirtschaft“ wird es sicherlich nicht so dynamisch weitergehen. Aber eine Wachstumsrate von rund 10% bis 20% sollte auch im laufenden Jahr grundsätzlich möglich sein. Während wir in den ersten 7 Monaten 2022 ein Zulassungsplus von 12,6% hatten, lag dieses im Juli 2022 bei 13,2%. Durch den Ukraine-Krieg kann es direkt oder indirekt immer wieder zu Teile-Engpässen kommen, die – wie der Chip-Mangel – zu Produktionsausfällen der Autohersteller führen. Ähnliche Probleme könnten sich auch bei Rohstoffen wie Palladium, Niob, Neon, Platin, Nickel etc. auftun bzw. verschärfen. Je stärker die Verbreitung von Elektroautos, desto geringer wird natürlich auch das prozentuale Wachstum in den nächsten Jahren ausfallen. Mit detaillierten Schätzungen für die nächsten Jahre kann man auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen wirtschaftlichen Verwerfungen aktuell nur falsch liegen.

Wie gestaltet sich zeitgleich der Bedarf an öffentlicher und privater Ladeinfrastruktur?

Angesichts des rasanten Anstiegs der verkauften Elektrofahrzeuge ist dringend ein Ausbau sowohl öffentlicher als auch privater Ladepunkte notwendig. Hier ist der Zubau von jährlich mehreren zehntausend bis über einhunderttausend Einheiten notwendig. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich Eigenheimbesitzer mit Garage/Carport relativ leicht eine Wallbox installieren lassen können. Für die Millionen Mieter oder Eigentümer einer Wohnung ist das natürlich nicht so einfach möglich. Diese sind meist auf öffentliche Ladepunkte angewiesen.

Wie hoch ist das geschätzte Investitionsvolumen in Deutschland, um eine flächendeckende Versorgung mit E-Ladesäulen sicherzustellen?

Wenn – wie ursprünglich einmal geplant – bis zum Jahr 2030 1 Million öffentlich zugängliche Ladepunkte errichtet werden sollten, sprechen wir von einem Investitionsvolumen im einstelligen Milliarden-Bereich. Je nach dem was man einrechnet, dürfte der Investitionsbedarf sogar in den zweistelligen Milliarden-Bereich gelangen. Allerdings darf an der Erreichung des Ziels von 1 Million öffentlicher Ladepunkte bis 2030 gezweifelt werden, sofern nicht bald mehr Dynamik beim Zubau erfolgt; nicht auszuschließen, dass es bis dahin gar nur die Hälfte wird.

Welchen Einfluss hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Entwicklung der E-Mobilität in Deutschland?

Einerseits führt der Ukraine-Krieg natürlich zu Versorgungsengpässen. Andererseits ist die westliche Welt natürlich auch bestrebt, sich von russischen Energieträgern bzw. grundsätzlich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Die Erneuerbaren Energien bekommen insofern zusätzlichen Auftrieb, so dass Strom bzw. Elektroautos eine noch größere Bedeutung zukommt.

Welches Marktpotential bietet die Kombination von E-Ladeinfrastruktur und PV-Anlagen?

Auch durch Subventionsmaßnahmen sollten Photovoltaik-Projekte in Kombination mit E-Ladesäulen sowohl für private Nutzer als auch für Gewerbetreibende eine interessante Investition sein. Unternehmen können durch die Verbindung beider Technologien das Lastprofil optimieren, Lastspitzen vermeiden und letztendlich Kosten reduzieren. Durch stationäre Stromspeicher kann das Laden der Fahrzeuge teilweise auf Abend- und Nachtstunden verlagert werden. Unternehmen können über die eigene Fahrzeugflotte hinaus auch Mitarbeitern und Kunden Lademöglichkeiten bieten.

Wie sind andere Länder in der EU im Bereich E-Mobilität aufgestellt?

Gemäß Daten des European Alternative Fuels Observatory (EAFO) von Ende 2020 gab es in Europa fast 287.000 öffentliche Ladepunkte, was in etwa einer Vervierfachung gegenüber 2015 (67.000 Ladepunkte) entspricht. In 5 von 32 analysierten Ländern befanden sich 73% aller öffentlichen Ladepunkte. Die meisten davon waren in den Niederlanden (66.400), gefolgt von Frankreich (gut 46.000), Deutschland (ca. 44.500), Großbritannien (ca. 33.300) und Norwegen (gut 18.500). Allerdings muss man die Zahlen natürlich in Relation zur Bevölkerung bzw. zum Fahrzeugbestand sehen, so dass Norwegen und die Niederlande hier absolut führend sind. Ende 2021 gab es laut Bloomberg New Energy Finance in Europa bereits rund 442.000 öffentliche Ladepunkte. Die meisten befanden sich in den Niederlanden (104.000), gefolgt von Frankreich (72.600), Deutschland (70.600), Großbritannien (47.800), Italien (26.500) und Norwegen (19.600). Per 1. Dezember 2021 verzeichnete die Bundesnetzagentur wiederum 50.901 öffentlich zugängliche Ladepunkte, ein Zuwachs von 11.600 Einheiten gegenüber dem Vorjahresmonat. Abweichende Zahlen sind ein übliches Phänomen, das auf unterschiedlichen Zählweisen beruht. So werden Normalladepunkte, mit einer Inbetriebnahme vor dem 17. März 2016, sowie Ladepunkte mit bis zu 3,7 kW Ladeleistung von der Bundesnetzagentur nicht erfasst.

Der Marktanteil batterie-elektrischer Fahrzeuge an den Neuzulassungen in Norwegen und in den Niederlanden ist deutlich höher als in Deutschland. Lag dieser in der Bundesrepublik 2021 bei 14%, erreichte er in den Niederlanden 21% und in Norwegen gar 65%! Der größte Automarkt der Welt – China – kam lediglich auf 11%, noch weniger populär waren BEVs in den „Autonationen“ USA (3%) und Japan (1%).

Welches Investitionsvolumen wird im Rahmen der E-Mobilität in den kommenden Jahren erwartet?

Sowohl im privaten Bereich als auch im gewerblichen Bereich ist durch Investitionen in die Fahrzeugflotten wie auch die Infrastruktur mit Investitionen deutlich im dreistelligen Milliarden-Bereich zu rechnen. Durch die gegenwärtige Gemengelage mit der Förderung der Elektromobilität und mit einem hohen Ölpreis wird die Elektromobilität weiter Fahrt aufnehmen. Das Europäische Parlament hat im Juni dieses Jahres beschlossen, dass ab dem 1.1.2035 keine neuen Autos (Pkw und leichte Nutzfahrzeuge) mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden sollen. Dann hätten BEVs „freie Fahrt“. Allerdings ist eine endgültige Entscheidung noch nicht gefallen. Diese wird bzw. würde erst mit einem gemeinsamen Beschluss von EU-Kommission, EU-Parlament und Länderregierungen im Herbst erfolgen.

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