
„Ertragserwartungen für Pflegeimmobilien bleiben überdurchschnittlich“
Ein Interview mit Christian Röske, Leiter Firmenkunden Health Care, und Torben Döbbecke, Analyst Health Care.
Herr Röske, der Pflegesektor ist inzwischen zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig herangewachsen. Lohnt ein Investment in den Sektor noch und wenn ja, wo?
Röske: Der große Vorteil des Pflegesektors ist, dass sich die Nachfrage hier langfristig sehr genau anhand von demografischen Faktoren ableiten lässt. Bis 2030 werden 180.000 zusätzliche stationäre Pflegeheimplätze benötigt. Um diesen Bedarf zu decken, müssten jährlich zwischen 210 und 390 Pflegeheime zugebaut werden. Hinzu kommt, dass ein knappes Drittel der bestehenden Objekte älter als 40 Jahre ist und Erneuerungsinvestitionen zunehmend erforderlich werden. Auch die Nachfrage nach anderen Versorgungsformen wie Tagespflegeangeboten, „Betreutem Wohnen“ und dem ambulanten Pflegebereich bleibt bemerkenswert hoch. Das Angebot wächst längst nicht in dem benötigten Maße. Umfangreiche Investments sind folglich dringend erforderlich. Den Engpass stellen derzeit schlicht verfügbare Immobilien bzw. Baugrundstücke dar, ein Investment ist aber grundsätzlich in diesem Bereich lohnenswert. Wichtig bei der Anlageentscheidung ist es, die Kompetenz und Erfahrung des Betreibers zu berücksichtigen. Nicht zuletzt hängt die Rendite von der Lage und den damit verbundenen Einstiegskosten ab.
Die NORD/LB finanziert auch Pflegeeinrichtungen. Wie gehen Sie bei der Auswahl und Bewertung der Objekte vor?
Röske: Bei der Auswahl und Bewertung der Objekte hilft uns unsere mehr als 20-jährige Erfahrung im Segment der Pflegeimmobilien. Es sind mehrere Aspekte zu beachten, die in Summe zu einer Entscheidung führen, ob wir ein Geschäft mit Fremdkapital begleiten. Dabei legen wir neben dem Standort besonderes Augenmerk auf die Qualität der Immobilie und den Betreiber.
Auch bei Pflegeeinrichtungen spielt die Lage eine wichtige Rolle, allerdings sind hier nicht nur städtische, sondern auch ländliche Regionen in unserem Fokus. Entscheidend sind der jeweilige Bedarf und die Nachfrage vor Ort. Weitere Pluspunkte sind eine zentrale Lage und eine gute Erreichbarkeit des Objektes.
Die Immobilie muss qualitativ ansprechend, zeitgemäß und zukunftsfähig sein. Ein gewisser Standard bei der Immobilie bis hin zur Ausstattung wird von Bewohnern wie Angehörigen mittlerweile vorausgesetzt. Ebenfalls spielen in Pflegeeinrichtungen Digitalisierung und Nachhaltigkeit inzwischen eine entscheidende Rolle.
Aber auch wenn Lage und Qualität der Immobilie optimal sind, ist der jeweilige Betreiber ein weiterer entscheidender Aspekt. Er ist verantwortlich für die Belegung, den wirtschaftlichen Betrieb und die Akquise und das Halten engagierter und fähiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Zeiten von Fachkräftemangel eine regulierende Größe sein können.
Herr Döbbecke, wie hat sich der Markt für „Betreutes Wohnen“ entwickelt? Können entsprechende Angebote eine Alternative zur klassischen Pflege sein?
Döbbecke: Für rund 40% der über 60-Jährigen ist „Betreutes Wohnen“ eine Wohnform, mit der sie sich laut eigener Aussage wohlfühlen würden. Dabei spielt der Wunsch nach Selbstbestimmung eine große Rolle. Der Vorteil ist die Möglichkeit, hier Pflegeangebote und Haushaltshilfe bedarfsgerecht hinzubuchen zu können. Bewohner befinden sich in der Regel in niedrigeren Pflegegraden, wodurch ihnen noch eine weitgehend selbständige Bewältigung des Alltags möglich ist. Bei zunehmender Pflegeintensität muss jedoch ein Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung in Erwägung gezogen werden. Idealerweise sind Einrichtungen des „Betreuten Wohnens“ daher bereits an teilstationäre oder vollstationäre Einrichtungen angeschlossen. Das Betreute Wohnen ist somit eine gute Alternative für Menschen ohne pflegende Angehörige bzw. ohne eigenes seniorengerechtes häusliches Umfeld. Ein Pflegeheim kann oftmals nur bis zu einem gewissen Grad der Pflegebedürftigkeit durch „Betreutes Wohnen“ ersetzt werden. Ist dieser überschritten, wird der Übergang in die stationäre Pflege erforderlich.

Welche weiteren Entwicklungen im Pflegebereich erwarten Sie für Investoren und Betreiber?
Döbbecke: Entsprechend der steigenden Einstiegskosten für geeignete Pflegeimmobilien sind weiter sinkende Spitzenrenditen zu erwarten. Im Vergleich zu anderen Immobilien-Assetklassen verbleiben die Ertragserwartungen jedoch weiterhin auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Für Betreiber stellen Personalengpässe die langfristig größte Herausforderung dar. Aus diesem Grund unternahm der Gesetzgeber bereits zahlreiche Anstrengungen, um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern. Während das Lohnniveau der Alten- und Krankenpflegefachkräfte tatsächlich seit einigen Jahren überdurchschnittlich stark wächst, bleiben die physischen und psychische Belastungen weiterhin enorm. Studien belegen, dass Pflegekräfte signifikant häufiger von Krankheit oder krankheitsbedingten Berufsaustritten betroffen sind als andere Berufsgruppen. Durch die Pandemie haben sich viele belastende Faktoren weiter verstärkt. Aus diesem Grund ist es enorm wichtig, den bestehenden Trend in Richtung einer wachsenden Zahl von Berufseinsteigern sowie von Pflegekräften aus dem Ausland zu verstetigen, um die generelle Arbeitsbelastung zu senken. Zeitgleich kann auch die Digitalisierung z. B. durch flexible online abrufbare Dienstpläne in begrenztem Maße dazu beitragen, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Zu guter Letzt ist es für Betreiber wichtig, dass am Ende höhere bzw. tarifliche Löhne und bessere Arbeitsbedingungen auch in den Pflegesatzvereinbarungen Berücksichtigung finden.
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